Die "Schlesische Funkstunde"




Wir alle nutzen ihn täglich – entweder intensiv oder nebenbei: Den Rundfunk. Nun besteht er 100 Jahre. 1923 konnte sich keiner vorstellen, ohne dieses damals neue Medium leben zu können. Das erste offizielle Radioprogramm ging am 29. Oktober 1923 in Berlin an den Start.

Schon wenige Wochen später folgten weitere Radiostationen, die ihren Sendebetrieb aufnahmen, (z. B. der Mitteldeutsche Rundfunk Leipzig am 1. März 1924). Auch in Schlesiens Hauptstadt Breslau unter der Bezeichnung „Schlesische Funkstunde A. G.“ am 24. Mai 1924. Sie war zunächst eine private Hörfunkgesellschaft, die 1932 verstaatlicht und in die Reichsrundfunk-Gesellschaft eingereiht wurde.

Schon in den ersten Monaten nach der Rundfunkgründung in Deutschland packte die Menschen das „Rundfunkfieber“. Der Empfang stellte einige technische Anforderungen, um die nun immer zahlreicheren Sender empfangen zu können – in den Anfangsjahren nur mit Detektorgeräten, die einen oder mehrere Kopfhörer-Anschlüsse besaßen. Es war auch möglich, sich selbst ein Empfangsgerät zusammenzubauen. Anleitungen gab es in den Zeitungen und Zeitschriften; Radiobastlerklubs gaben Anleitungen. Auch musste eine ziemlich lange Außenantenne aus dickem Kupferdraht hoch oben am Dach oder anderen Befestigung angebracht werden – mit Blitzschutz. Ende 1924 hatte der Breslauer Sender bereits fast 40.000 eingetragene Hörer. Der Rundfunkempfang war allerdings kostenpflichtig und man musste bei der Deutschen Reichspost eine Genehmigung beantragen, die monatlich 2 Reichsmark kostete. Viel Geld so kurz nach der Inflation. Auch Görlitz packte das Radiofieber. Die Hörerzahl stieg. Nur in der westlichen Oberlausitz, rund um Görlitz, war die Hörerschar nicht so groß, weil die Empfangsbedingungen unbefriedigend. Trotzdem kam es im April 1926 zu einer ersten Görlitzer Funkausstellung; vermutlich eine Werbeveranstaltung der aufstrebenden Radioindustrie nach dem Vorbild der Berliner Funkausstellung von 1924. Wie sah das Radioprogramm von damals aus? Es gab noch keine Aufzeichnungsmöglichkeiten für die Musik. Es wurden zwar Schallplatten abgespielt, aber zum großen Teil musizierten Kapellen life in den eigens eingerichteten Senderäumen. Klicken Sie auf beide Abbildungen:

Neben Nachrichten beinhaltete das Programm Vorträge zu politischen, naturwissenschaftlichen, kulturellen und allgemeinen Themen sowie spezielle Sendungen für die Wirtschaft, Landwirtschaft, Hausfrauen, Schüler und Kinder usw. Knapp die Hälfte des Programms bestand aus Wortbeiträgen; abends Übertragungen aus Theatern – Oper, Operette, Schauspiel, Konzerte, Hörspiele. Die Familie versammelte sich nach des Tages Arbeit am Radiogerät, um gemeinsam das Programm zu hören – so wie man sich in den 50- und 60er Jahren vor dem Fernsehgerät versammelte. Wochentags bestand das Programm aus etwa 40 % Wortanteil und 60 % Unterhaltung und Musik; heute bei den ARD-Landeswellen kaum vorstellbar. Großen Anteil an der Beliebtheit hatte das von der Schlesischen Funkstunde kreierte „Hörspiel“, damals noch „Sendespiel“ genannt, das sich zu einer neuen Kunstgattung entwickelte und beispielgebend für das deutsche Radio war. Bekannt wurde dadurch Erich Kästner mit seinem Stück „Leben in dieser Zeit“, das in die deutsche Literaturgeschichte einging. Seit 1926 bis Anfang 1933 gehörten Hörspiele zweimal in der Woche zum Breslauer Programm; insgesamt 376. Dominierend und auch beliebt war die funkeigene Kapelle unter Leitung von Franz Marszalek.

Wenig im Programm spiegelte sich das kulturelle Leben in der Oberlausitz wider. Görlitz und Umgebung lagen eben weit entfernt vom Sendeort Breslau. Gelegentlich waren Gruppen oder Kapellen aus dem westlichen Niederschlesien zu Gast; abgesehen von Übertragungen einzelner Konzerte der Schlesischen Musikfeste oder des Ersten Görlitzer Mandolinen-Orchesters unter der Leitung von Bruno Runge, wie zum Beispiel am 5. Oktober 1932 um 21.20 Uhr aus dem Evangelischen Vereinshaus. Zu dieser Zeit registrierte die Reichspost in Schlesien über 234 000 eingetragene Rundfunkgeräte.

Wenige Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Rundfunk gleichgeschaltet. Nun regierten die Nazis in den Funkhäusern. Um die Übertragungslücke in der Oberlausitz zu füllen, bemühte sich die Breslauer Leitung um einen zusätzlichen Sendestandort. Den fand man schließlich in Reichenbach/OL. Ein starker und moderner Mittelwellensender wurde im Juli 1937 unter der Stationsbezeichnung „Görlitz“ eingeweiht, der das Programm des Reichssenders Breslau übertrug. Außerdem kam ein Studio im Ständehaus an der Promenade dazu, das auch einzelne Sendungen und Konzerte aus dem Görlitzer Umfeld übertrug.

Von nun an hieß es: „Hier ist der Reichssender Breslau mit seinen Sendern Gleiwitz und Görlitz“. Eingerichtet wurde dieser leistungsstarke Mittelwellensender allerdings mit der politischen Zielrichtung, faschistische Ideologien in das grenznahe Sudetenland zu infiltrieren. 1939 registrierte die Reichspost über 500 000 eingetragene Radiohörer in Schlesien. Mit Goebbels Verfügung im Juli 1940, nur noch zwei „Reichsprogramme“ aus Berlin zu senden, die die „Reichssender“ zu übernehmen hatten, blieb nur noch vormittags Platz für ein regionales Programm. Somit sanken auch die Sendeanteile aus dem Görlitzer Studio fast auf Null. Am 7. Mai 1945 ließ der Reichenbacher Sendeleiter den Antennenmast sprengen. Radiohören in der Görlitzer Region war erst wieder vom Sommer 1945 an möglich. Das Fernsprechamt Görlitz teilte im Amtlichen Nachrichtenblatt der Stadt Görlitz mit, dass der Drahtfunk empfangen werden darf, wenn eine Genehmigung der Post vorliegt. Drahtfunk war eine spezielle Einrichtung für Telefonbesitzer, ein oder mehrere Radioprogramme über eine speziell angeschlossene Telefonleitung zu hören. Ansonsten war der Empfang von Radiosendern nach Ende des 2. Weltkrieges in der Oberlausitz schlecht. Der wiedergegründete MDR verfügte lediglich in Dresden über einen schwachen Mittelwellensender; die starke Langwelle des Deutschlandsenders in Herzberg/Elster überlebte ein Bombardement 1945 nicht. Die schwachen Wellen des neugegründeten Berliner Rundfunks und MDR reichten nicht bis Görlitz. Dies änderte sich erst mit der Inbetriebnahme eines stärkeren Mittelwellensenders in Dresden-Wilsdruff (Landessender Dresden). Auch der Mittelwellensender Reichenbach wurde wieder aufgebaut; anfangs mit schwacher Leistung, der mal gerade etwa 50 km im Umkreis zu empfangen war. Über diese Frequenz sende ab März 1953 auch das neu eingerichtete Studio Görlitz in der Heinzelstraße 4 ein spezielles Programm in sorbischer Sprache dreimal in der Woche. Ansonsten war der MDR aufgeschaltet, ab 1954 der Berliner Rundfunk. Welch Unsinn - ein Berliner Programm für die Oberlausitz! Die "Schlesische Funkstunde" bestand bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Schon wenige Tage danach erhielt sie die Bezeichnung „Reichssender Breslau“. Das 1928 gebaute neue Sendegebäude überstand die Kämpfe um die „Festung Breslau“ und ist jetzt Sitz von „Radio Wroclaw“.

Ein Beitrag von Zeitzeuge Wolfhard Besser | August 2023

Bildquellen: DRA

Zurück zu "LeseTipps"